Kaukausabenteuer Teil 11 - Heiliges Bier und harte Sitten



Irgendwo weit oben, nur zu Fuß oder auf dem Rücken eines Pferdes erreichbar, liegt das Dorf Ruli. Kein Supermarkt, kein Kino, kein Metzger, kein Arzt. Und keine Straße die zu all diesen Annehmlichkeiten hinführt. Wir sind in Chewsuretien.

Chewsuretien
In Ruli lebt nur noch eine einzige Familie. Vielleicht können sie einfach nicht reiten und sitzen deshalb hier fest. Oder sie sind einfach stur.

Die Dörfer hier oben waren immer schon schwer zu beherrschen. Als im vierten Jahrhundert das Christentum Staatsreligion wurde, zogen all die Sturköpfe ins Gebirge, die keine Lust hatten ihren Glauben zu ändern. Diese Sturheit steckt den Kaukasiern noch heute ein wenig in den Genen, sonst wäre ein Überleben hier oben nicht möglich.



Tieropfer

Die Staatsmacht hat die Menschen im Hochgebirge dann doch vom Christentum überzeugen können, mit dem guten alten Mittel der Gewalt. Hat ein paar Jahrhunderte gedauert, aber wirkte nachhaltig. Ironischerweise haben die Sowjets dann mit der gleichen Gewalt die Religion wieder abgeschafft, oder sagen wir besser: durch ihre eigene ersetzt.

Nun, da das Christentum schon mal da war und man nicht anders konnte, hat mans eben durchgezogen, was solls. Aber den eigenen Kopf durchsetzen ist hier oben auch wichtig, also bildete sich eine Art Nebenreligion mit eigenen Ritualen. Noch heute werden Tiere, meist Schafböcke, dem lieben Gott geopfert.
Heiliges Bier

Ein anderes Ritual, ein anderer Brauch, ist allerdings weitaus sympathischer: Bier ist heilig! Kleine Brauereien gibt es selbst in den abgelegenen Dörfern Chewsuretiens. Und am 1. August, das ist hier ein hoher Feiertag, wird dem heiligen Getränk gefrönt, und zwar, wenn man Soso glauben darf, in Unmengen. Männer und Frauen sitzen bei diesem Fest getrennt, weil Frauen sich nicht Prügeln, die Männer dann aber wohl schon ganz gerne mal.

Zum Festtag tragen die Menschen Tracht, die mit Naturfarbe mühevoll gefärbt wird. Natur ist ohnehin ein wichtiges Thema, man lebt hier davon. Butterschmalz war früher in dieser Gegend ein offizielles Zahlungsmittel. Und wenn jemand ein Haus oder eine Hochzeit zahlen wollte, dann rechnete der Verkäufer das in Kühe um.



Wir sind wohl nicht die ersten Touristen hier.

Recht und billig

Bei all dem konnte natürlich auch mal was ins Auge gehen. War die Prügelei zu hart oder die Kuh ging kurz nach dem Kauf ein, dann mußte ein Richter entscheiden. Noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein amtierte der Dorfälteste, nicht DIE Dorfälteste, als Richter und sprach Recht. Viele Vergehen wurden einfach damit bestraft, dass der Schuldige am nächsten 1. August der Feier fernbleiben mußte. In Härtefällen vielleicht auch mehrere Jahre. Wers ganz schlimm trieb konnte des Dorfes verwiesen werden. Und in einigen wenigen Fällen wurde wohl auch mal ein Arm abgeschlagen, was hier oben einem Todesurteil sehr nahekommt.

Hartes Leben weiche Herzen

Das Leben im Hochgebirge Georgiens ist hart geblieben, die Sitten sind weicher geworden. Als Wanderer ist man gern gesehen, aber natürlich sollte man sich benehmen können!

An einem Abend schlenderte ich vom Lagerplatz hinunter ins nächste Dorf um mich ein wenig umzuschauen. Dort traf ich diese netten Männer beim Feierabendbier, bayrisches Bier, wie sie betonten.



Drei wirklich nette Jungs, irgendwo im wilden Kaukasus

Wir ließen zu viert die Tasse rundgehen und plauderten gerade so viel wie mein Russisch hergab. Das waren noch Zeiten! Heute sitze ich Zuhause und darf wegen Corona meine Kinder nur auf drei Meter Abstand sehen.

Wenn Wölfe heulen

Bier ist heilig in Chewsuretien, und die Gastfreundschaft ist es auch. Vielleicht sehen die Gesellen etwas rauhbeinig aus, aber ihr heiliges Getränk teilten sie in aller Freundschaft. Als Gegengeschenk gabs Nordhessencuptücher für die Kinder, die ich rasch aus dem Lager herbeischaffte. Nichts ist herzerwärmender etwas zu verschenken das man selbst mag.

In dieser Nacht heulen die Wölfe. Ich höre sie nicht, ich schlafe wie ein Stein. In Chewsuretien fühle ich mich so sicher wie unter guten Freunden mit denen man aus einer gemeinsamen Tasse Bier trinken mag.




Abendstimmung



Wir sehen uns (irgendwann) beim Nordhessencup



Olaf

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