Ich glaube, wir schaffen das!

Es ist nicht alles, wie im ersten Moment scheint
Mario, unser Reise- und Wanderführer auf dieser Tour, ist studierter Germanist. Ein Albaner also, der zumindest mich locker übertrumpft, was deutsche Kulturgeschichte angeht. Deutsch ist nicht seine Muttersprache, und doch kann er die Feinheiten der deutschen Sprache manchmal spitzer setzen, als unsereiner. Also schimmert feine Ironie durch seinen Leitspruch, der da lautet: Ich glaube, wir schaffen das!

Warum auch nicht?

Zu manch sich bietender Gelegenheit findet er, fein lächelnd, diese Aufmunterung für uns. Natürlich nicht bei wirklichen Herausforderungen, steilen Anstiegen zum Beispiel. Nein, es gibt wichtigere Dinge: Wenn eine Runde Raki gegeben wird, und vielleicht am Ende noch eine (an der er sich nie beteiligt), dann lächelt er: Ich glaube, wir schaffen das!
Denn wer mit offenen Augen durch Albanien reist wird erkennen, wie widersinnig die merkelsche Durchhalteparole hier klingen muss. Wir schaffen das, heißt in Albanien: Wo fangen wir damit an?
Wohin mit dem Zeug? Das neue Leben ist bunter... und haltbarer.

Aller Anfang liegt herum

Nehmen wir das Beispiel Müll: Haarsträubend wilde Müllkippen verzieren im Gebirge viele Seitentäler. Das Plastikgelumpe gammelt vor sich hin, wird durch Wolkenbrüche in die Flüsse gespült, verdreckt die Landschaft mancherorts, das einem die Tränen kommen.
Wie schaffen wir das? Nehmen wir Limar zum Beispiel, wo Tüten und Dosen hinter der leeren Kirche entsorgt werden, zusammen mit ausgelutschten Gaskartuschen. Nach Limar führt keine Straße. Die Piste hier hoch ist nur mit sehr stabilen Fahrzeugen zu bewältigen, oder mittels ähnlich stabiler Esel, so wird der Trip in die Stadt zur Tagesreise. Auch wenn die meisten Menschen hier oben Selbstversorger sind, ab und zu wird eingekauft, man kann aus einem Schaf kein Waschmittel herstellen und keine Kinderbücher, keine Gartenschaufeln und keine Waschmaschinen.
Harry, hol schon mal den Wagen... das geht hier nicht

Keine Losungen sondern Lösungen sind gefragt

Der Müll landet in der Landschaft, denn es gibt keine Müllkippe in Limar. Es gibt auch keine Müllabfuhr. Und die wenigen, die ein Auto besitzen, können nicht alle Tage in die Stadt fahren um den Müll dort abzuliefern. Selbst wenn sie es täten: Es gibt in der nächsten Stadt keine Müllkippe, keine Verbrennungsanlage, keine Abfallorganisation. Das alles kostet Geld, und das ist knapp hier. Also wohin mit dem Zeug? Ein Anfang ist in den Badeorten an der Küste zu erkennen, mit deutscher Hilfe. Mario sagt: Ich glaube, wir schaffen das.

Denn erstens kommt es anders...

Vielleicht sitzt dieser Gedanke, dieses Abwägen der Unwägbarkeiten, auch tief in den albanischen Genen. Wir könnten das schaffen, aber wer weiß? Denn die Geschichte und die Geschicke dieses Landes sind so skuril, so abenteuerlich dramatisch und zuweilen irrwitzig: Welcher Albaner sollte da weit nach vorne planen. Wir glauben, wir schaffen das diesmal?
Die Albaner sind überzeugt davon, Abkommen der Illyrer zu sein. Hier lest Ihr mehr dazu. Die Illyrer, Helden einer verschwommenen Vergangenheit, wurden zunächst von den Römern in den Arm genommen. Danach durften sie Untertanen der Byzantiner sein, und am Ende des byzantinischen Reiches stellten sich die Osmanen als neue Vermieter vor. Erst 1912 erklärten die Albaner ihre Unabhängigkeit, um gleich darauf in den Wirren des ersten Weltkriegs mit einem Marionettenkönig gesegnet zu werden. Italienische und deutsche Besetzung im zweiten Weltkrieg, Titos Machtgelüste danach. Ich glaube, wir schaffen es diesmal?
Keine Bushaltstelle - Bunkerreste

Spezialisten im Abwarten?

Die kommunistische Zeit verlangte den Albanern viel ab: Völlige Isolation und etwa 250.000 Bunker im Land. Was wir heute für völlig bekloppt halten, den Bau dieser Bunkerpilze, sieht vielleicht aus Sicht eines Albaners so verrückt gar nicht aus. Nach fast 2000 Jahren Fremdherrschaft, muss man es doch irgendwie mal schaffen auf eigenen Füßen stehen zu dürfen? Sich etwas aufzubauen, eine eigene Zukunft zu haben und diese auch verteidigen? 2000 Jahre Abwehrkampf, wen wundern da noch 250.000 Bunker?

Sie schaffen das!

Ich glaube, wir schaffen das, sagt Mario, und lächelt still. Und so ist diese Weisheit, frei nach Merkel, in Albanien etwas wie ein mentaler Bunker. Gegen all die Widrigkeiten und Schwierigkeiten des Alltags. Mit einem guten Raki und weit ausgebreiteten Armen in jedem Gästehaus: Wir können zwar kein Deutsch, aber kommt ruhig herein. Wir werden unsern Spaß haben beim Trinken und Singen. Wir glauben, wir schaffen das. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

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