Unterwegs im Kaukasus 13 - Wo ein Wille ist, da ist auch ein Berg


Wieder unten nach dem ersten Versuch
Wie kam es dazu, dass ich am Tag nach unserem Gipfelabbruch wieder auf dem Weg nach oben bin? Vor allem: ohne Begleitung und ohne Führer?


Wo ein Wille ist, da ist auch ein Berg

Nach dem Abbruch unseres Aufstiegs hockten Andrea und ich in der Sonne und schauten unseren Nachbarn beim Training zu. Eine Gruppe junger Russen aus den Nachbarbotchis tankte Kraft für den morgigen Aufstieg. Man kommt so ins Gespräch, noch dazu wenn die Nachbarn fließend Deutsch sprechen. Sie bieten mir an, am morgigen Tag mitzugehen. Ein verlockendes Angebot. Fünf Jungs starten um Mitternacht und gehen den ganzen Weg hinauf, die anderen zehn fahren drei Uhr in der Frühe mit Sultan ab. 



Aufwärmübungen vorm Gipfeltag

Bergab rasende Bergführer

Irgendwann kommt unser deutscher Bergführer zurück. Er ist mit einem Pistentaxi, einem Schneemobil, von der Höhe heruntergefahren, die Gruppe kommt zu Fuß nach! Und dann, am späten Nachmittag, tritt Oleg an mich heran, er hat für 2 Uhr früh eine Mitfahrgelegenheit für mich klargemacht, ab Sonnenaufgang dürfe ich allein weitergehen, sofern die Gruppe mir zu langsam sei. Tschakka! Oleg gibt mir sein Funkgerät und sein Handy. Ich muss drei Dinge versprechen. Erstens: NICHT beide Gipfel zu besteigen! Zweitens: Mich an der Verseilung wirklich anzuseilen und den Pickel zu benutzen (auch wenn´s leichter aussieht). Drittens: Anzurufen wenn ich auf dem Rückweg die Pistenraupenruine erreicht hab. Abgemacht!  Noch ein paar Diskussionen mit unserem deutschen Bergführer, dann kommt die Vorfreude...



Sonnenaufgang und Höhenrausch

Deshalb also sitze ich nun auf 5200 Meter Höhe im Schnee, wo eine kleine Plattform der letzte Rastplatz vor der langen Traverse zum Sattel ist. Ich kaue an meinem Käsebrot, trinke heißen Tee und schaue nach Süden, wo das Sonnenlicht ins Gebirge fällt und die Morgenröte alle Register zieht. Es gibt Dinge, die muss man mal gesehen haben. Das hier gehört dazu.
Die Traverse in den Sattel zwischen beiden Gipfeln ist ein Pfad der nur leicht ansteigt, sich aber unendlich zieht. Und: Er liegt noch immer im Schatten. Es ist kalt, es ist sehr kalt hier oben. Aber das machts ja aus, ohne die Kälte wäre es nur halb so schön. Recht zügig geht es voran. Da ich keinem Vordermann auf die Hacken schaue, sauge ich das Panorama ringsum ungefiltert auf. Ab und zu muss ich ausweichen, überholen. Zunächst zwei Frauen die von einem Bergführer an der Leine geführt werden. Eine halbe Stunde später passiere ich ein junges Pärchen, die Frau liegt weinend im Schnee, er versucht zu trösten. Mein Angebot von Energieriegel und Traubenzucker schlagen sie aus, es ist die Luft, die ihr zusetzt. Besser: die fehlende Luft. So auch dem Mann, den ich weiter vorne überhole und der von seinem Bergführer angehalten wird tief und lang zu atmen. Atmen, atmen, atmen! Der Bergführer hebt und senkt die Arme: Atmen, atmen.... Der Mann ist sichtlich fertig auf den Röhren, hier schon! Noch 15 Minuten bis zum Sattel, und danach wird´s erst richtig lustig.



Gipfel in Sicht

Letzte Pause vor dem Gipfel

Erstaunlicherweise geht’s mir noch immer wirklich gut. Vermutlich war ich gegen 7 Uhr am Sattel. Leider lag der noch im Schatten, ich hatte mich auf eine Pause in der Sonne gefreut. Seit über vier Stunden laufe ich in Dunkelheit oder Schatten, mein Magen knurrt und ich will essen, bevor mir kalt und schwindlig wird. Der Sattel ist gut besucht, der letzte große Lagerplatz vorm Aufschwung zum Gipfel. Dieser Aufschwung, das sind 150 Höhenmeter, teils verseilt, da es rechts abfällt. Man würde nicht stürzen, aber sehr weit rutschen, und müsste dann wieder hochkraxeln. Oleg hat mir das Versprechen abgenommen, mich anzuseilen. Ich sitze auf meinem Rucksack, kaue Riegel, trinke Tee und beobachte den Anstieg. Er scheint anstrengend zu sein, die Bewegungen der Menschen dort sind sehr zäh. Lange halte ich mich nicht auf, ich will jetzt endlich in die Sonne.

Die Stunde der Wahrheit folgt dann nächste Woche.

Euer Olaf

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