Wieder unten nach dem ersten Versuch |
Wo ein Wille ist, da ist auch ein Berg
Nach dem Abbruch unseres
Aufstiegs hockten Andrea und ich in der Sonne und schauten unseren Nachbarn
beim Training zu. Eine Gruppe junger Russen aus den Nachbarbotchis tankte Kraft
für den morgigen Aufstieg. Man kommt so ins Gespräch, noch dazu wenn die
Nachbarn fließend Deutsch sprechen. Sie bieten mir an, am morgigen Tag
mitzugehen. Ein verlockendes Angebot. Fünf Jungs starten um Mitternacht und
gehen den ganzen Weg hinauf, die anderen zehn fahren drei Uhr in der Frühe mit
Sultan ab.
Aufwärmübungen vorm Gipfeltag |
Bergab rasende Bergführer
Irgendwann kommt unser deutscher Bergführer zurück. Er ist mit
einem Pistentaxi, einem Schneemobil, von der Höhe heruntergefahren, die Gruppe
kommt zu Fuß nach! Und dann, am späten Nachmittag, tritt Oleg an mich heran, er
hat für 2 Uhr früh eine Mitfahrgelegenheit für mich klargemacht, ab
Sonnenaufgang dürfe ich allein weitergehen, sofern die Gruppe mir zu langsam
sei. Tschakka! Oleg gibt mir sein Funkgerät und sein Handy. Ich muss drei Dinge
versprechen. Erstens: NICHT beide Gipfel zu besteigen! Zweitens: Mich an der
Verseilung wirklich anzuseilen und den Pickel zu benutzen (auch wenn´s leichter
aussieht). Drittens: Anzurufen wenn ich auf dem Rückweg die Pistenraupenruine
erreicht hab. Abgemacht! Noch ein paar
Diskussionen mit unserem deutschen Bergführer, dann kommt die Vorfreude...
Sonnenaufgang und Höhenrausch
Deshalb also sitze ich nun auf 5200 Meter Höhe im Schnee,
wo eine kleine Plattform der letzte Rastplatz vor der langen Traverse zum
Sattel ist. Ich kaue an meinem Käsebrot, trinke heißen Tee und schaue nach
Süden, wo das Sonnenlicht ins Gebirge fällt und die Morgenröte alle Register
zieht. Es gibt Dinge, die muss man mal gesehen haben. Das hier gehört dazu.
Die Traverse in den Sattel zwischen beiden Gipfeln ist
ein Pfad der nur leicht ansteigt, sich aber unendlich zieht. Und: Er liegt noch
immer im Schatten. Es ist kalt, es ist sehr kalt hier oben. Aber das machts ja
aus, ohne die Kälte wäre es nur halb so schön. Recht zügig geht es voran. Da
ich keinem Vordermann auf die Hacken schaue, sauge ich das Panorama ringsum
ungefiltert auf. Ab und zu muss ich ausweichen, überholen. Zunächst zwei Frauen
die von einem Bergführer an der Leine geführt werden. Eine halbe Stunde später
passiere ich ein junges Pärchen, die Frau liegt weinend im Schnee, er versucht
zu trösten. Mein Angebot von Energieriegel und Traubenzucker schlagen sie aus,
es ist die Luft, die ihr zusetzt. Besser: die fehlende Luft. So auch dem Mann,
den ich weiter vorne überhole und der von seinem Bergführer angehalten wird
tief und lang zu atmen. Atmen, atmen, atmen! Der Bergführer hebt und senkt die
Arme: Atmen, atmen.... Der Mann ist sichtlich fertig auf den Röhren, hier
schon! Noch 15 Minuten bis zum Sattel, und danach wird´s erst richtig lustig.
Gipfel in Sicht |
Letzte Pause vor dem Gipfel
Erstaunlicherweise geht’s mir noch immer wirklich gut.
Vermutlich war ich gegen 7 Uhr am Sattel. Leider lag der noch im Schatten, ich
hatte mich auf eine Pause in der Sonne gefreut. Seit über vier Stunden laufe
ich in Dunkelheit oder Schatten, mein Magen knurrt und ich will essen, bevor
mir kalt und schwindlig wird. Der Sattel ist gut besucht, der letzte große Lagerplatz
vorm Aufschwung zum Gipfel. Dieser Aufschwung, das sind 150 Höhenmeter, teils
verseilt, da es rechts abfällt. Man würde nicht stürzen, aber sehr weit
rutschen, und müsste dann wieder hochkraxeln. Oleg hat mir das Versprechen
abgenommen, mich anzuseilen. Ich sitze auf meinem Rucksack, kaue Riegel, trinke
Tee und beobachte den Anstieg. Er scheint anstrengend zu sein, die Bewegungen
der Menschen dort sind sehr zäh. Lange halte ich mich nicht auf, ich will jetzt
endlich in die Sonne.
Die Stunde der Wahrheit folgt dann nächste Woche.
Euer Olaf