Unterwegs im Kaukasus 2 - Russland, unendliche Weiten


Im Rückblick lag die größte Strapaze dieser Reise wohl in den endlosen Stunden Nachtaufenthalt auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo II. Dort der orthopädische Versuch sich auf den Flughafenbänken hinzulegen. Selbst meine Frau als Yogalehrerin bekam die nötigen Verrenkungen nicht hin. Diese fünf Stunden gingen aufs Konto unserer Bandscheiben.

Nervende Italiener

Manch Mitreisender hatte da pragmatischere Lösungen parat. Til z.B. zog die Isomatte aus seinem Handgepäck und schlief bequem auf dem Fußboden. Die Entspannung gönnten wir ihm gerne, denn wenn er seine zwei Meter Körpergröße in den Airbus sortieren muss, ist das sicher kein Spaß.

Und dann war da noch dieses andauernde Palaver aus dem Lautsprecher. Irgendein Passagier einer AI-Italia-Maschine wurde aufgefordert, zu seinem Flug zu kommen. Fast fünf Stunden lang lief dieses Band! Welcher Flug wartet denn so lange? Der Typ muss irre wichtig gewesen sein. Da hängst du nachts in Moskau auf dem Flughafen und bist genervt von Italienern, die nicht da sind. Das Verrückte an der Sache ist aber: In einigen Tagen werden uns echte Italiener nerven.

Die russische Lufthansa


Irgendwann entrinnen wir der Gehirnwäsche und steigen in unseren Flieger. Aeroflot hat die Tupolev- und Iljuschin-Maschinen längst verschrottet, man fliegt kommod im Airbus oder Boeing. Erst bei der Landung im Kaukasus sieht man die Zeitzeugen der beachtenswerten Epoche sowjetischer Luftfahrt neben dem Hangar vergammeln, um viele ihrer Organe beraubt. Irgendwo fliegen noch einige herum, oder versuchen es zumindest, in Kirgisien oder noch weiter weg.



Wir fliegen der Sonne entgegen, gefühlte zwei Stunden über Felder von unvorstellbarer Größe. Deutschland von oben, das ist ein Flickenteppich. Russland von oben, das sind gigantische Äcker und Felder, soweit man sehen kann. Die Flächen sind exakt gleich groß, und ich frage mich, ob dies das Ergebnis neuerer Agrarwirtschaft ist oder eine Folge der Zwangskollektivierung unter Stalin.

Ich vermute Letzeres.

Planwirtschaft und Terror


Nach Lenins Tod 1924 und damit dem Ende der sogenannten Neuen Ökonomischen Politik, begann unter Stalin eine Epoche des Terrors und der Vergewaltigung der eigenen Bevölkerung. Jeder Reiche wurde enteignet und zumeist auch ermordet. Die Definition von Reichtum wurde vom Mob vor Ort entschieden. Wer immer Streit mit seinem Nachbarn hatte, zeigte ihn als "Kulak" an, als Reichen. Ob der Mensch nun wirklich wohlhabend war spielte keine Rolle. Du besitzt ein Schwein mehr als dein Nachbar? Dann fürchte um dein Leben!  Allein das Gerücht, man horte Getreide, kam einem Todesurteil gleich. Es hieß: Bringt die Kulaken um, nehmt ihnen den Besitz, verteilt das Land unter den Armen. Und so geschah es. Wobei auch die Definition "arm" vor Ort bestimmt wurde.

Am Ende jedoch traf es die, die das Land mit Gewalt genommen hatten. Nach der Ausrottung des Adels und der Enteignung der "Großbauern" entriss der Staat den kleinen Bauern das Land und zwang sie in Kolchosen, und die hatten von Landwirtschaft so viel Ahnung, wie eine Kuh vom Eier legen. In den Dreißigerjahren verhungerten daraufhin Millionen Sowjetbürger. Viele überlebten nur, weil sie sich von Leichenteilen ernährten.  Es war eine der größten humanitären Katastrophen der Menschheit.

Vergangenheit immer sichtbar

Und heute?


Wer nach Russland fliegt, setzt sich unweigerlich mit einem Mann auseinander: Wladimir Putin. Einer meiner Nachbarn zum Beispiel schwärmt von ihm, weil er angeblich seinen Laden im Griff hat.   Wenn mir unsere russische Freundin allerdings erzählt, dass sie ihren Doktortitel nur gegen 30.000 Euro in Bar machen darf (Tarif 2012 - heute wahrscheinlich teurer), natürlich inoffiziell und zu Händen ihres Doktorvaters, dann denke ich mir meinen Teil. Als Ersatz für die 30.000 Euro wären übrigens auch Beziehungen in der Politik möglich. Aber wer von den kleinen Leuten hat die schon?


Wir schaffen den Berg nicht!

Doch wer Europa aufs Dach steigen will, der muss nach Russland, Putin hin oder her. Und letzten Endes: Vor Ort, bei den "normalen" Russen, sind wir sehr willkommen.

Der Anblick des Elbrus reißt mich dann auch aus meinen Gedanken. Nach zwei Stunden Flug schiebt sich der Doppelgipfel von Europas höchstem Berg über die Wolkendecke. Bei dem Gedanken, dass ich da hoch muss und will, rollt sich mir der Magen etwas zusammen. Mein Bauchgefühl sagt mir seltsam deutlich: Das wird nichts, den Gipfel erreicht ihr nicht. Auf mein Bauchgefühl kann ich mich verlassen, es behielt auch dieses Mal Recht und hatte doch Unrecht. Womöglich aber war das Bauchgrummeln einfach nur der Tatsache geschuldet, dass wir eben zur Landung in Mineralnoje Vody ansetzen.  Zumindest hoffte ich das in dem Moment. 

Das Ziel: Europas höchster Berg, der Elbrus

Eine erlebnisreiche Woche wünscht

Olaf


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