4500 Meter über Seehöhe, der Wind schwingt sich zu einem erträglichen Sturm auf und greift uns von links direkt ins Genick. Schnee wie Nadelspitzen fegen über die Eisfläche die wir empor stapfen. Binnen Minuten bilden sich an Jacke und Hose Eiskrusten, man kann die Hand vor Augen noch sehen, aber weiter als 50 Meter reicht die Sicht nicht mehr. Willkommen in Russlands Sommer, willkommen im Kaukasus am Elbrus, Europas höchstem Berg, der den Spitznamen "kleine Arktis" trägt.
Der Testlauf
Über zwei Stunden zuvor sind wir losgelaufen, wollen bis
auf 4700 Meter steigen, um uns an die Höhe zu gewöhnen. Ziel sind die Pastuchov-Felsen,
der Ausgangspunkt unserer Gipfeltour in einigen Tagen. Unsere Gruppe besteht heute
aus zwölf Bergsteigern und zwei Bergführern und ist etwa 100 Meter
vorausgegangen, um hinter einem mickrigen Felsen den Sturm auszusitzen. Andrea
und ich hängen hinterher, meiner Frau geht in der Höhe die Luft aus, der Sturm
und die plötzliche Kälte zerren an ihr. Endlich, im Schutze der Felsen
angelangt, wird entschieden, heute nicht weiter aufzusteigen. Zurück zum Lift
und ab ins Tal.
Der Härtetest
Russland und Schneestürme, mehr Klisché geht nimmer. Aber
beides gehört zusammen, und der Schneesturm, auf Russisch "Buran",
ist im Grunde DIE Erfolgsgeschichte Russlands. Spätestens seit Napoleon
abgerissen seine halb verhungerte Armee im russischen Winter im Stich ließ, ist
klar: Russland macht dich groß oder es macht dich fertig.
Seit Anbeginn der Zeit tragen einige wenige Russen dieses
Eis im Herzen, diesen Buran, und plündern ihre Heimat aus. Früher eine Hand
voll Adeliger, dann Kommunisten und heute Neureiche bestimmen die Geschicke
dieses Riesenreiches zu ihrem eigenen Nutzen. Nur für den Moment eines
Wimpernschlages, Anfang der Neunzigerjahre, kannte die russische Geschichte
etwas wie einen politischen Frühling. Das Leben in Russland ist hart für
ehrlich arbeitende Menschen: Unterkriegen lassen sich die einfachen Russen
davon nicht so schnell. Und kommst du als Gast zu einer russischen Familie,
taut jedes Eis auf dem Ofen der russischen Gastfreundschaft schneller, als ein
Schneesturm aufziehen kann.
Der Elbrus - links der höhere Ostgipfel |
Der höchste Berg Europas?
Wir wollten diesen Sommer auf den Elbrus steigen, den
höchsten Berg Europas. 5642 Meter hoch hinauf sollte es gehen. Ich selbst bin
zum vierten Mal in Russland, zweimal als Tourist, zweimal als Gast bei
Freunden. 1988 hab ich mir den Elbrus von der georgischen Seite aus angeschaut,
heute nun ist das Ziel greifbar nahe. Im Schneegestöber ist der Gipfel
natürlich nicht auszumachen, aber von 4500 bis 5642 ist ja eigentlich gar nicht
so weit, denke ich. In einigen Tagen werde ich meine Lektion noch lernen. Die
Frage, warum ich mir das antue, wird mir sehr vertraut werden.
Unsere Gruppe steigt durch den frischen Schnee ab, Andrea
geht es mit jedem Schritt abwärts besser. Buran, der Schneesturm, verschwindet
so schnell wie er gekommen ist. Wir wissen, er ist nicht verschwunden, er ist
noch da, tief im Land.
Eine schöne Woche wünscht
Olaf
Nächste Woche: Russland, unendliche Weiten
Eine schöne Woche wünscht
Olaf
Nächste Woche: Russland, unendliche Weiten