Zu Fuß über den Balkan - Ein Reisebericht - Teil 2

Foto: Zbulo.org 
Wer von uns träumt nicht manchmal vom Aussteigen? Den Rechner gegen die Wand donnern, das Handy auf die Bahngleise kleben und mit der Bank ein Wörtchen reden? Und dann klingelt wieder der Wecker und alles geht von vorne los. Der Verkaufsschlager unserer Wirtschaft heißt Burn out, wird allerdings nur für den deutschen Markt hergestellt.

Bettelarm und doch freigiebig

Also auf in den Balkan. Kein Strom, keine Dusche, kein festes Dach über dem Kopf. Aber auf Dauer ist das auch nicht gesund, oder?

In den Sommermonaten gehen viele albanische und kosovarische Familien in die Berge, so auch Johns Eltern, Saimir und seine Frau Eliona, mit ihren drei Kindern. Saimir steigt schon im Mai auf und holt die Schafe aus den Winterställen seines Schwagers. Auf den Almen angekommen, wirft er seinen Rucksack unter einen Busch und betrachtet die Reste seiner „Sommerresidenz“. Er steht vor den Ruinen der Unterkunft des letzen Sommers: Aus Felssteinen schichtete er Steinwälle die ihm bis zur Schulter reichen, baute aus Holzstämmen und Moos und Fellen eine Art Bett. Nur die Steinwälle sind noch vorhanden, den Rest hat der Winter gefressen.

Komfort? Was ist das?

Durch die Steinbrocken heult der Hochlandwind, der Boden ist vom Winterregen dunkel und weich. Saimir richtet eine Art Dach aus Holzstämmchen, Plastikplanen und Stricken. Seinen Rucksack hängt er drinnen ans Gebälk. Natürlich trägt niemand Betten oder Matratzen ins Hochgebirge, erzählt er auf unsre fragenden Blicke hin! Na dann gute Nacht! Badezimmer? Heizung? Fließend Wasser? Fehlanzeige!

Foto: Misch 

Was kostet ein Glas Konfitüre im Supermarkt?

Das ist nicht die Sommerfrische, das ist die Tortur für eine warme Wohnung im Winter. Aus der Milch seiner Schafe gewinnt Saimir Feta, mit Methoden die jedem EU-Beamten tausend neue Richtlinien eingeben würden. Schmecken tut das Zeug trotzdem himmlisch, und mit dem allgegenwärtigen Raki desinfiziert man ohnehin alles weg. Mit Beginn der Sommerferien steigen dann auch Eliona und die Kinder auf die Almen auf. Wenn es ein guter Sommer wird, sammeln sie zusammen 1500 kg Blaubeeren. Wenn es ein guter Sommer wird, zahlen die Großhändler einen guten Preis für die Blaubeeren, sagt Saimir! Er zeigt uns einen halbvollen Beutel seltsam leichten Inhalts: Blütenblätter der Schlüsselblume – eine Fummelei und schier endlose Geduldsarbeit, und dabei schaut er auf seine Kinder. 7 kg Schlüsselblumenblütenblätter ergeben 1 kg getrocknete Blütenblätter. Der Ertrag dafür: 7 Euro. Daraus wird Hustensaft gemacht, irgendwo in Italien! Wenn es ein guter Sommer wird, meint Eliona, haben wir im Winter eine warme Wohnung.

Feta! Foto: Misch 

Keine Karl-May-Idylle

Der Sommer im Hochland ist nichts als hartes Tagwerk für die ganze Familie. Neben der Sammelei muss Eliona die Wäsche von Hand waschen und das Essen für die ganze Familie täglich frisch kochen. Jeder Weg in die Stadt nimmt einen ganzen Tag in Anspruch, der Hinweg! Mit viel Glück ist am Ende des Sommers gerade genug Geld verdient um den Winter halbwegs satt und warm zu überstehen.

Burn out für die Seele oder fürs Konto? Es scheint keinen Mittelweg zu geben. Wir stehen vor einer Art Zeitfenster und haben die Hände hindurchgestreckt um dieses Stück Vergangenheit zu berühren. Ich will ehrlich sein: Erschrocken hab ich meine Hände zurückgezogen und in meinen warmen Hosentaschen vergraben.




Nächsten Montag geht weiter mit Teil 3: In der Rugovaschlucht und Autofahren auf albanisch



Eine besinnliche Vorweihnachtswoche


wünscht Olaf



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