Zu Fuß über den Balkan - Teil 4



Mustafa - Foto: Zbulo.org

Reka e Allages, das Gästehaus von Mustafa und Fetija, liegt an eine Alm geschmiegt im Hochland des Kosovo. Der Ausblick von der Terrasse macht jeden Bergsteiger nervös. Ein Separé mit 6 Betten in das wir uns verdrücken, die anderen Gäste schlafen im Haus. Unser kleines Blockhaus atmet aus jeder Ritze den Traum von einem bescheidenen Einkommen und einem Leben im Frieden. Alles ist so peinlich sauber, man hört förmlich den Schrubber am Boden kratzen.


Gastfreundschaft pur

Aus dem Abendessen im Freien wird leider nichts, es regnet. Also räumen die Gastgeber ihr Wohnzimmer und ihre Küche und wir nehmen dort Platz, mit 17 Personen! Zum Essen: Wann haben Sie zuletzt eine Mahlzeit eingenommen, deren Zutaten Sie komplett im eigenen Garten gesät, gegossen, gejätet, gedüngt, gezogen, geerntet, gefüttert und geschlachtet haben? Eine Mahlzeit deren einziger Verpackungsmüll aus Eierschalen besteht? Allein Bier lässt sich noch nicht in Weizenbrot transportieren. Und so sind die leeren Pejaflaschen alles, was wieder zurück ins Tal transportiert werden muss. Wir essen nicht auf, es ist viel zu viel, der albanische Wettergott wird uns dafür am nächsten Tag mit einem grandiosen Gewitter belohnen.

30 Kühe und kein Busfahrplan

Fetija und ihre Kinder rennen sich die Hacken wund und lachen, wenn es uns schmeckt. Gefüllte Paprika, Weißbrot das den Namen noch verdient, Tee, Kaffee, Salat, Käse aus eigener Herstellung. Mustafa hält 30 Kühe, die im Winter bei seinem Bruder bleiben, er selbst zieht mit seiner Familie ins Tal; die Piste hier hinauf ist im Sommer eine Zumutung und im Winter unpassierbar, die Kinder könnten keine Schule besuchen. Wer hier oben lebt, schenkt sich das Marathontraining, allein zur nächsten Bushaltestelle geht man 3 Stunden. Wir gehen heute aber nur noch ins Bett.

Zum Glück schlaflos

Wer nachts raus muss um das Klo zu besuchen, schaut auf zu einem Sternenhimmel, wie er  Zuhause höchstens zu sehen wäre wenn man allen Kraftwerken den Stecker zieht. Unwillkürlich streckt man die Hände zur Milchstraße aus, so nah scheint sie, all die Götter der alten Zeiten lächeln auf dich herab.
Am nächsten Morgen sitzen wir in der Sonne und schauen auf die Berge die nun unsere Ziele sein werden. Unsere Gastgeber sind von beschämender Herzlichkeit. Krieg und Not haben Spuren in ihr Leben gegraben, wir müssen wie Wesen aus einer anderen Zeit auf sie wirken.

Für ein die Kinder

Für Mustafa, Fetija und ihre Kinder sind wir Touristen der Schlüssel zur Zukunft. Ihr Leben ist reich an Entbehrungen und Verzicht, an Rückenschmerzen und müden Füßen. Ihr Leben ist arm an Luxus und süßem Zeitvertreib, an schnellem WLAN und Blogbustern. Aber ihr Leben ist angefüllt mit Liebe zu ihrer Arbeit und ihren Gästen. Das fühlt man, das schmeckt man, das verblüfft uns zuweilen.
Foto: Misch

Abschied mit Augenjucken

Für uns wird es Zeit aufzubrechen, und so stellen wir uns auf für den Abschied. Jeder von uns umarmt die ganze Familie, bis hin zur Oma. Es ist für unsere Gastgeber ein wichtiger Teil des Lohns für diese Tage des Kochens, Backens und Putzens. Ganz plötzlich begreife ich, dass man ohne Geld schlecht, aber ohne Freundschaft gar nicht leben kann.
Beim Aufstieg ins Gebirge drehe ich mich um und schaue zurück. Weit unter uns steht die ganze Familie und winkt uns nach, bis wir hinter der ersten Anhöhe verschwinden. Das bricht mir ein klein wenig das Herz, doch erst auf der Rückfahrt zum Flughafen werde ich endgültig begreifen, dass man Albanien nur mit gebrochenem Herzen verlassen kann.


Teil 5: Winnetou in Albanien, die Söhne der Adler

Auch lesen: Teil 1, Teil 2, Teil 3
 

Dieses Blog durchsuchen